#9 - laufen
Anfang 2020 waren unsere Kinder noch im Volkschul- und Kindergartenalter. Unser neu gebautes Haus war frisch bezogen und ich konnte mich endlich wieder auf meine Arbeit konzentrieren. Und dann kam Corona.
Während Artgenoss:innen auf Instagram ihre neuen, kreativen Abenteuer posteten waren mein Mann und ich damit beschäftigt, unser Leben so gut es ging umzustrukturieren, neue Routinen zu finden und für uns und unsere Kinder das Beste draus zu machen. Schnell waren wir wieder zurück in alten Rollenverteilungen: er im stickigen Home-Office, ich in Dauerrotation zwischen Homeschooling, Online-Flötenstunden, Bastelprojekten, kochen und putzen. Die ständige Erinnerung daran, dass es uns im Vergleich zu so vielen anderen doch eh so gut geht, war ehrlicherweise durchaus durchsetzt mit einer Prise verstecktem Selbstmitleid.
Als nach dem X-ten Lockdown die Tage und Wochen zu verschmelzen begannen und in mir beim Anblick der Home-Office-Jogginghose meines Mannes ein latenter Hass erwuchs, wusste ich, es war Zeit, etwas zu ändern.
Kurzentschlossen meldeten wir die Kinder wieder in der Vormittagsbetreuung von Schule und Kindergarten an - und von einem Tag auf den anderen war unser guter alter Wecker wieder "back in business". Jeden Tag standen wir zur gewohnten Zeit auf, zogen uns echtes, sauberes Gewand an, schmierten Jausenbrote und begleiteten die Kinder zur Schule.
Was vor Corona jeden Tag mit dem Auto stattgefunden hat, weil der Junior einfach wirklich noch klein war, bestritten wir ab nun zu Fuß. Abwechselnd begleiteten wir die Kinder auf dem ca. 1 km langen Weg, der über grüne Feldwege und durch hübsche Gässchen unseres Ortes führt. Auch uns Eltern hat es gut getan, in der Früh ein bißchen Frischluft zu tanken.
Die morgendlichen, gemeinsamen Spaziergänge waren voller Lachen und Scherzen, noch schnell Gedichte auswendig lernen, für den Sachunterrichttest üben oder lustige Geschichten über mysteriöse Vorgärten und deren Bewohner:innen erfinden. Sich früh morgens die Schuhe anzuziehen wurde bald so normal wie das berühmte Zähneputzen.
Irgendwann, ein paar Monate später, als wir uns wieder einmal vor der Schule verabschiedet haben, bin ich nicht nach Hause gegangen, sondern noch eine Runde durch den Wald. Und dann einmal auf die Garser Burg hinauf. Ein anderes Mal zwischen Feldern, durch den Ort. Meine Runden wurden immer länger und begannen, sich in mein Leben einzuzementieren.
Corona war schon lang vorbei, meine Marschrunden aber sind geblieben. Ich kam mir als morgendliche Spaziergängerin schon vor wie eine Figur in einem Wimmelbuch. Immer woanders, aber immer verlässlich zu finden!
Aus Straßenschuhen wurden Wanderschuhe. Aus Wanderschuhen Laufschuhe. Aus Jeans wurden bequeme Jogginghosen. Aus dem wolligen Wintermantel eine atmungsaktive Sportjacke. Und bevor ich mich versah wurde aus gehen laufen. Zuerst sehr langsam, "peinlich langsam" wie meine Kinder meinten. Aber dafür regelmäßig und konsequent.
Ich habe mich früher immer als Drinnen-Mensch gesehen. Lieber Buch und Couch als Sonne und Bewegung. Aber ich muss zugeben: das Gefühl, den Körper schon gut mit Sauerstoff vollgetankt zu haben, noch bevor ich mich an meine Arbeit setze, ist unschlagbar.
Laufen ist zu einem fixen Bestandteil meines Alltags geworden. Stolz erfüllt mich jedesmal, wenn ich ein durchgelaufenes Paar Schuhe zur Restmülltonne trage und ich stehe kurz davor, mir eine Laufuhr zu kaufen. So ganz ohne Ehrgeiz gehts dann offensichtlich doch nicht.
Somit hat also auch mir Corona etwas gebracht, das mein Leben verbessert hat. Es ist zwar nicht die große Kunstkarriere (ich hoffe, das auch ohne Pandemie noch hinzubekommen), aber dafür eine Routine, die ich nicht mehr missen möchte.