10 - Omas altes Zinn

Letzten Herbst kommt meine Schwiegermama vorbei. In ihren Armen eine große Schachtel - das alte Zinn der Großmutter. Ihr Blick ist zaghaft, sie ist unsicher, ob es eine gute Idee war, damit zu mir zu kommen.

War es! Ich liebe alte Dinge. Die Patina, die ihnen zu eigen ist, fasziniert mich und bringt mich zum träumen. Gegenstände mit Geschichte haben für mich so viel mehr Ausstrahlung, als dieses seelenlose Zeug aus der Dekoabteilung im Möbelhaus.

Gemeinsam nehmen wir es aus der Schachtel. Stück für Stück stellen wir es auf den Tisch. Wunderschöne Formen, der Zahn der Zeit deutlich zu erkennen. Wieviele Hände haben es wohl schon abgestaubt. Bei wievielen Momenten, große oder kleine, war es wohl schon stummer Zeuge?

Etwas in mir sagt sofort Ja! Aber etwas auch ganz zart - Bist du dir sicher?

Als wir vor 7 Jahren in unser Haus eingezogen sind, war da so viel Platz! Unsere alte Wohnung war halb so groß - genauso wie unsere Kinder. Aber streng nach dem Gesetz, dass sich vorhandener Platz auch füllt, hat sich auch unsere Haus stetig mit Zeug geflutet.

Ich schaue also auf das Zinn und merke, dass alleine das Nachdenken darüber, wo es denn stehen könnte, mich schon anstrengt. Noch dazu erfüllt es nichtmal einen Zweck. Aus dem Krug kann man nicht trinken. Die Schale nicht mit Keksen belegen. Reine Ziergegenstände!

Zum Glück ist meine Schwiegermama so, wie sie eben ist. Ich weiß ganz genau, dass sie es nicht persönlich nehmen wird, wenn ich ihr Angebot ablehne. Sie bräuchte es nicht einmal zu sagen, tut es aber trotzdem noch einmal.

Ich stelle die Schachtel also in die Abstellkammer – mit dem vagen Vorsatz, bei Gelegenheit einen Platz dafür zu finden.

Und dort steht sie dann und wartet auf diese vage nächste Gelegenheit. Tage vergehen, Wochen, Monate. Nicht nur, dass ich kein neues zu Hause dafür suche, nein, die Schachtel fängt auch an, mir auf die Nerven zu gehen, mir im Weg zu sein. Ich stelle sie von links nach rechts und wieder nach links. Schön langsam nagt es an mir. Ich hasse unerledigte Dinge.

Als ich schließlich im Frühling die Abstellkammer aufräume, nehme ich kurzentschlossen das Telefon zur Hand und rufe meine Schwiegermama an:"Du, ich dank dir für das Zinn, aber ich glaube, es soll nicht sein!"

Im größten Einverständnis holt meine Schwiegermutter die Schachtel wieder ab und ich bin einfach nur erleichtert - eine Kiste weniger! Bevor sie damit geht, schauen wir nochmal kurz hinein und ich muss zugeben: mir kommen Zweifel beim Anblick der wunderschönen Formen!

Da denke ich an diese Rubrik und daran, dass ich es ja zumindest zeichnen könnte, um es in irgendeiner Form aufzubewahren - und das tue ich dann auch!

Wie dankbar bin ich meiner Schwiegermama, dass sie uns immer wieder mit Stücken der Familienvergangenheit eine Freude machen will und damit das Band zwischen den Generationen eng verwebt.

Und wie dankbar bin ich ihr, dass sie trotzdem uns die Entscheidung überlässt, ob es für uns auch das Richtige ist!

 

 

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